Identifikation
Signatur:
Ar 170
Entstehungszeitraum / Laufzeit:
1808-1975
Umfang:
1 m
Kontext
Abgebende Stelle
Die Nachlieferung von 2024 wurde von Gabriela Medici organisiert.
Verwaltungsgeschichte / Biographische Angaben
Herman Greulich wurde am 9. November 1842 in Breslau als Sohn eines Kutschers und eines Kindermädchens geboren. Nach dem Besuch der Armenschule absolvierte er zwischen 1857 und 1862 eine Ausbildung zum Buchbinder und liess sich 1865 nach dreijähriger Wanderschaft in Zürich nieder. Hier wurde er Mitglied des deutschen Arbeiterbildungsvereins Eintracht, nachdem er sich noch in Deutschland der liberalen Arbeiterbewegung von Hermann Schulze-Delitzsch angeschlossen hatte. Neben der Lehre Charles Fouriers, in die ihn Karl Bürkli einführte, beeinflusste ihn Friedrich Albert Lange. Greulich las aber auch Schriften von Ferdinand Lassalle, Karl Marx und Friedrich Engels. Nachhaltig prägte die Demokrat. Bewegung sein politisches Verständnis. 1867 trat Greulich der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) bei, war Mitbegründer der Zürcher Sektion und nahm an zwei Kongressen der IAA teil. Er gründete Gewerkschaften und eine erste sozialdemokratische Partei (1870), die indes keinen Bestand hatten. 1867 verheiratete sich Herman Greulich mit Johanna Kauffmann. Beruflich war er erst als Buchbinder, dann als Gehilfe in einem Fotografieatelier tätig. Nach Anstellungen als Redaktor der Tagwacht (1869-1880) und als Kaffeeröster beim Konsumverein (1880-1884) arbeitete er ab 1885 als Leiter des Statistischen Büros des Kantons Zürich. 1887 trat Herman Greulich die Stelle als erster vollamtlicher Arbeitersekretär der Schweiz an und verblieb in diesem Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1925. Erst relativ spät gelangte Herman Greulich als Vertreter der SP in politische Ämter: Von 1892 bis 1925 sass er im Grossen Stadtrat Zürichs, 1890-1893, 1896-1899 und 1901-1925 im Kantonsrat, 1902-1905 und 1908-1925 im Nationalrat. In allen Räten setzte er sich besonders für sozialpolitische Belange und für das Frauenstimmrecht ein. Gegenüber der sich nach 1900 radikalisierenden Arbeiterbewegung war Greulich kritisch eingestellt. Die Taktik des Generalstreiks lehnte er wie die im 1. Weltkrieg entstehenden linken Strömungen und später die Kommunisten ab, verteidigte aber den Landesstreik von 1918. In der II. Internationale, an deren Kongressen er wiederholt teilnahm, zählte er zu den herausragenden Persönlichkeiten. Herman Greulich blieb zeitlebens einem politischen Pragmatismus verpflichtet. Sein Anliegen war die Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft mit den politischen Mitteln, die der schweizerische Bundesstaat mit seiner republikanischen Verfassung und insbesondere mit den direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten bot. Sein lebenslanger und insgesamt auch erfolgreicher Einsatz für eine gerechtere Gesellschaftsordnung machte den als "Papa Greulich" Verehrten zum Wegbereiter der schweizerischen Arbeiterbewegung und zu einer ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten.
Übernahmemodalitäten
Der schriftliche Nachlass von Herman Greulich wurde dem Schweizerischen Sozialarchiv im Oktober 2010 von Herman Schmidt, alt Bundesrichter, Aarau, übergeben. Der Kernbestand stammt aus dem Besitz von Gerold Meyer (1900-1990), der mit Helene vanHasz, einer Enkelin von Herman Greulich, verheiratet war und 1942 die Greulich-Ausstellung im Volkshaus Zürich organisiert hatte. Für diese Ausstellung verwendete Gerold Meyer in erster Linie persönliche Korrespondenzen und Familienstücke, die nach Greulichs Tod in Familienbesitz verblieben waren. Die für die Ausstellung zusammengetragenen Dokumente wurden zunächst im Reihenhaus der Eheleute Meyer-vanHasz in der Werkbundsiedlung Neubühl in Wollishofen aufbewahrt. 1960 zog das kinderlose Ehepaar Meyer-vanHasz nach Brione s. Minusio um. Viele Ausstellungsreste gelangten damals in Estrichräume der von Helene (Leni) Meyer-vanHasz erworbenen Liegenschaft. Seither galt der Nachlass Herman Greulichs als verschollen. Die noch vorhandenen Dokumente wurden von Herman Schmidt sichergestellt, zusammengeführt, geordnet und verzeichnet. Von einigen Dokumenten existieren heute nur noch von Leni Meyer-vanHasz angefertigte Abschriften. Diese Abschriften wurden oft auf billigstem Papier, mit abgenütztem Farbband oder auf Carbonpapier gefertigt. Sie sind auch nicht immer vollständig und teilweise sprachlich „verbessert“. Die Abschriften sind den entsprechenden Dossiers und Dokumenten beigelegt (gemäss Nummerierung von Herman Schmidt).
Inhalt und innere Ordnung
Form und Inhalt
Verschollen geglaubter Nachlass von Herman Greulich mit umfangreichen Unterlagen zu Herkunft, Beruf und Familie. Gut repräsentiert sind auch die politischen und gewerkschaftlichen Aktivitäten sowie die Organisationen der schweizerischen und internationalen Arbeiterbewegung, in denen Greulich eine aktive Rolle spielte. Spezielle Hervorhebung verdient der wertvolle, bis in die 1860er Jahre zurückreichende Fotobestand.
Bewertung und Kassation
Es wurden keine Kassationen vorgenommen.
Das umfangreiche Bildmaterial wurde der Abteilung Bild+Ton des Schweizerischen Sozialarchivs übergeben und ist in Bearbeitung.
Neuzugänge
Es werden keine Neuzugänge erwartet.
Zugangs- und Benutzungsbedingungen
Zugangsbestimmungen
Der Bestand ist im Lesesaal des Schweizerischen Sozialarchivs ohne Benutzungsbeschränkungen einsehbar.
Sprache/Schrift
Unterlagen in deutscher Sprache
Sachverwandte Unterlagen
Verwandte Verzeichnungseinheiten
Teilnachlass im IISG in Amsterdam: Korrespondenz u.a. mit: Friedrich Adler (1924), Pavel Akselrod (1908-1925), August Bebel (1910-1911), Georges Claraz (1893-1925), Fedor Dan (1925); Manuskript der Rede „Gewerkschaft und Syndikalismus“, undat.; Umfang: 0.02 m
Teilnachlass beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) in Bern: Das Büro beim Arbeitersekretariat gab Herman Greulich wenige Monate vor seinem Tod auf. Die Akten wurden von Greulichs letztem Mitarbeiter, Emil Leuenberger, zum SGB in Bern gezügelt. Möglicherweise gelangten nach dem Tod Greulichs auch noch weitere Akten aus dessen Wohnung an der Klusstrasse 28 zum SGB.
Veröffentlichungen
Eduard Weckerle: Herman Greulich. Ein Sohn des Volkes, Zürich 1947
Markus Bürgi: Artikel „Herman Greulich“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Bd. 5, Basel 2006 (www.hls.ch).
Werner Kuhn: Die Bedeutung Charles Fouriers für die Gedankenwelt Herman Greulichs. Ein Beitrag zur Schweizergeschichte des 19. Jahrhunderts, Zürich 1949
Verzeichnungskontrolle
Informationen der Bearbeiter*in
Ordnung und Verzeichnung sind im Wesentlichen das Werk von Herman Schmidt. Der Bestand wurde im Herbst 2010 von I. Rüttimann neu verpackt. Einige strukturelle Änderungen in der Anordnung von Dokumenten und Dossiers wurden von I. Rüttimann und U. Kälin vorgenommen. Die Nachlieferung 2024 wurde von L. Haag und A. Thompson in Oktober 2024 bearbeitet.